Lernen - TU Dresden

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Interkulturelle Kommunikation
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V. Interkulturelles Lernen
1. Fremdsprachendidaktik und interkulturelles Lernen: Faktoren
der Lehrsituation und Typen von Lernergruppen
An der interkulturellen Kommunikation im Unterricht beteiligte
Faktoren (Roche 2001, 49)
Lerner
Lehrmaterial
Lehrer
Fremdkultur
Mögliche konkrete Situationen nach Roche (ebd.):
• Lehrer und Lerner teilen den selben kulturellen Code, der Lehrer (z.T.)
auch den der Fremdkultur und der Lehrmaterialien. Die Schüler kennen
den Code der Fremdkultur nur rudimentär (Stereotypen).
• Der Lehrer kennt den Code der Fremdkultur und der Lehrmaterialien
(Muttersprachler), die Schüler nicht. Lehrer und Lerner haben nicht den
selben kulturellen Code.
• Der Lehrer gehört weder zur Zielkultur noch zur Ausgangskultur (der
Schüler).
• Alle Faktoren gehören einer anderen Kultur an.
Wesentliche Erweiterung besonders im Russischunterricht heute:
• die Schüler haben einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund.
Interkulturelle Kommunikation
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An der interkulturellen Kommunikation im Unterricht beteiligte
Faktoren (Modell für kulturell gemischte Gruppen)
Lehrer
Lerner 1
Lerner 2
(aus der Umgebungskultur)
(aus der Zielkultur)
Umgebungskultur
Zielkultur
Lehrmaterial
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Typologie der Lernergruppen im Sprachenunterricht
Lerner
A
B
Nicht-Muttersprachler im
Fremdsprachenunterricht
Muttersprachler im muttersprachlichen Unterricht im
nichtmuttersprachlichen
Schulkontext
C
gemischte Gruppe
C1
geringe gefühlte kulturelle
Differenz zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern
C2
starke (& konfliktäre) gefühlte kulturelle Differenz
zw. Muttersprachlern und
Nicht-Muttersprachlern
Gruppenbildung:
Bereitschaft und Fähigkeit zum
produktiven interkulturellen
Austausch erzeugen
Bewältigung des unterschiedlichen Sprachniveaus
Bewältigung des unterschiedlichen Sprachniveaus
produktiver interkultureller
Austausch
produktiver interkultureller
Austausch
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2. Lehrkunstdidaktik
Kernstück der Lehrkunstdidaktik ist die Provokation der „Fremdwerdung“ des
Vertrauten (Martin Wagenschein (1896-1988); Horst Rumpf (*1930); vgl. Wagenschein 1988; 1989; 1997; 2002; Rumpf 1987): Neues Wissen wird über die
Erfahrung der Unvertrautheit des scheinbar Vertrauten erworben. In dem von
Wagenschein zunächst und primär für den naturwissenschaftlichen Unterricht
entwickelten Konzept sollen Selbstverständlichkeiten als unverstanden und
(er)klärungsbedürftig erkannt, Sicherheiten durch Verunsicherung ersetzt und
schließlich in Erklärung und Verstehen überführt werden: Eine bemerkenswerte
Überschriftzeile in Wagenschein (2002, 58) lautet:
Notwendige Eigenschaften des Problems („Immer wieder sonderbar“)
Wagenschein (1997, 75-124) beschreibt die Kunst des Lehrens als eine
genetisch-sokratisch-exemplarische Methode, deren allgemeines pädagogisches
Prinzip wiederum genetisch ist (das unterrichtsbezogene didaktische Merkmal
fungiert also zugleich als pädagogischer Oberbegriff):
Genetisch
genetisch – sokratisch – exemplarisch
„Genetisch gehört zur Grundstimmung des Pädagogischen überhaupt. Pädagogik hat mit dem Werdenden zu tun: mit dem werdenden Menschen und – im
Unterricht, als Didaktik – mit dem Werden des Wissens in ihm“ (Wagenschein
1997, 75). Diesem Grundprinzip ist das sokratische Lehren und Lernen
zugeordnet, da sich das Werden des Wissens am wirksamsten im Gespräch
vollziehe und – sokratisch nicht zu vergessen – in Bewegung gerät in der
produktiven Verunsicherung durch das Staunen „darüber, dass man zu wissen
meint, was man nicht weiß“. Da sich aber das genetisch-sokratische Verfahren
auf „muße-fordernde“ (nicht „zeitraubende“) Themen und Themenkreise beschränken muss, denn wie anders könnte sonst Werden zugelassen und Gespräch geübt werden, ist die Methode notwendig exemplarisch (Wagenschein
1997, 75f., 95).
Das Verfahren eignet sich im Sprachenunterricht v.a. für die Gruppen A und C1.
Bei B ist die Erfahrung des Fremden bereits Alltagserfahrung der Schüler, bei
C2 können der Wirkung des Verfahrens gruppendynamische Widerstände
entgegenstehen (Disharmonie, die die Aufnahmefähigkeit hinsichtlich der
Unterrichtsinhalte einschränkt).
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2. 1. Beispiel 1: „Lisa geht einkaufen“
Seite aus einer russischen Ausgabe der Zeitschrift „Lisa“ (2004)
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Interkulturelle Kommunikation
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Die Seite ist in ihrem Aufbau vermutlich allen SchülerInnen vertraut.
Die Aufgabe lautet nun:
• Was ist aus deutscher Sicht auffällig. Was ist „typisch russisch“?
Auf folgende Textteile kann die Aufmerksamkeit der SchülerInnen gelenkt
werden. Basis für Unterrichtsgespräche:
• Fließtextbeschreibung der Flechtkörbe:
Симпатичные корзинки удобны не только для похода за грибами. В
них можно хранить лук, яблоки и использовать даже для газет.
Die hübschen Körbe sind nicht nur zum Pilzesammeln geeignet. In ihnen
kann man auch Zwiebeln oder Äpfel aufbewahren. Und sogar für
Zeitungen sind sie zu gebrauchen.
• Der Cartoon am Seitenrand:
«Чем же Вас лечить?!»
«Марсом, Сниккерсом и
Амаретто»
„Womit sollen wir Sie denn bloß
behandeln?“
„Mit Mars, mit Snickers und mit
Amaretto.“
• Die Adressen von Geschäften unter den einzelnen Artikeln:
„Robinson“ im GUM, 1. Etage
„Chicco“ an der Metrostation „Kuzneckij most’“ usw.
Bearbeitungsmöglichkeiten:
• Diskussion eines Soziofakts („Pilzesammeln“) als primäre Assoziation zu
bestimmten Artefakten (Der Westdeutsche denkt bei ihnen eher an die
erwähnten Zeitungen und kaum an Pilze) sowie als nationaler Wert und
Identitätssymbol.
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• Fortführung des Themas mit anderen Texten; z.B. (aus einer Moskauer
Restaurantzeitung, 2006; s. auch Kap. „Werte“):
Любителям шампионов – совет от наших шеф-поваров: используйте
отечественные грибы. Они выращиваются на натуральном субстрате,
поэтому, в отличие от польских, практически не ужариваются и на
вкус гораздо нежнее. А всем любителям лесных грибов – удачи на
тихой охоте, сезон которой в самом разгаре!
(Gde est’, Moskau 09-2006)
Den Freunden von Champignons raten unsere Chefköche: Nehmen Sie
einheimische Pilze. Da sie auf natürlichem Nährboden gezogen sind,
schrumpeln sie – im Unterschied zu den polnischen – beim Braten praktisch nicht ein und haben einen entschieden zarteren Geschmack. Und allen Freunden von Waldpilzen: Viel Glück bei der stillen Jagd. Es ist
Hochsaison.
• Diskussion des Cartoons und seines spezifisch russischen Witzes als
Einstieg in Fragen des kulturellen Umbruchs und seiner sozialen
Erscheinungen („Neue Russen“).
• Fremdsprachendidaktisch: Grammatische und pragmalinguistische
Diskussion: Instrumentalgebrauch, Vergleich mit der Wortverbindung
snikersy i marsy für „billiger Kleinkram“ (s. Ertelt-Vieth 2005, 259).
• Süßigkeiten und Emotionen: Welche Süßigkeiten sind besonders wichtig
in Erinnerung und persönlicher Lebensgegenwart (interkultureller
Austausch).
• Landeskundlich: Zuordnung der Adressen auf dem Moskauer Stadtplan.
Frage: Warum gibt es die Rubrik „Lisa geht einkaufen“ in aktuellen
Ausgaben der Zeitschrift (2006) nicht mehr?
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2. 2. Beispiel 2: „Heimische Weiten“
Werbung aus einer russischen Ausgabe der Zeitschrift „Lisa“
(2006)
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Aufgaben:
• Übersetzung der Werbetexte sowie analoge deutsche Texte ins Russische
(eventuell jeweils mit Hilfe der russischen bzw. deutschen Vergleichstexte). Schülergruppen fragen gegenseitig, ob der Sinn und der Werbecharakter durch die Übersetzungen getroffen wurde.
• Diskussion über verschiedene Raumerfahrungen (Weite, Entfernungen
etc.) in Deutschland und Russland sowie über die Opposition von „Fremde“ und „Heimat“. Aufhänger:
В таком виде вы можете не только исследовать чужие страны, но и
путешествовать по родным просторам.
In diesem outfit können Sie fremde Länder erforschen, sondern über
unsere heimischen Weiten bereisen.
2. 3. Beispiele aus dem literarischen Kanon
• Diskussion: Welche Literatur ist uns wichtig.
• Vorstellung von Lieblingslektüren (vgl. auch Stierstorfer 2002, 133f.).
• Lektüre von Texten aus dem literarischen Kanon mit besonders
kultursensitivem Inhalt.
Tschechisches Beispiel für eine fortgeschrittenen Klasse (A, C1): Karel Čapek,
Valka s mloky:
NÁŠ PŘÍTEL NA OSTROVECH GALÁPAGOS
Konaje se svou chotí, básnířkou Jindřiší Seidlovou-Chrudimskou, cestu kolem světa, abychom kouzlem tolika nových a mohutných dojmův aspoň částečně přežili bolestnou ztrátu
naší vzácné tetinky, spisovatelky Bohumily Jandové-Střešovické. Dostali jsme se až na
osamělé, mnohými bájemi opředené ostrovy Galapágos. Měli jsme toliko dvě hodiny času, i
použili jsme jich k procházce po pobřeží tohoto pustého souostroví.
“Hleď, jak překrásně dnes zapadá slunce,” pravil jsem k své choti. “Není-liž to, jako by celá
obloha tonula v záplavě zlata a krve?”
“Pán ráčí být Čechem?” ozvalo se nenadále za námi správnou a ryzí češtinou.
Pohlédli jsme překvapeně oním směrem. Nebyl tam nikdo, jen veliký černý Mlok sedě na
balvanech, drže v ruce něco, co vypadalo jako kniha. Během své cesty kolem světa jsme
spatřili již několik Mlokův, ale neměli jsme dosud příležitosti dáti se s nimi do řeči. Proto
laskavý čtenář pochopí náš podiv, když jsme se na pobřeží tak opuštěném setkali s Mlokem a
nadto zaslechli otázku v naší rodné řeči.
“Kdo zde mluví?” zvolal jsem česky
“Byl jsem tak směl, pane,” odvětil Mlok uctivé povstávaje. “Nemohl jsem odolati, slyše
poprvé v životě český hovor.”
“Jakže,” užasl jsem, “vy umíte česky?”
“Právě jsem se bavil časováním nepravidelného slovesa býti,” odtušil Mlok. “Toto sloveso
jest totiž nepravidelným ve všech jazycích.”
“Jak, kde a proč,” naléhal jsem, “jste se naučil česky?”
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“Náhoda mi zanesla do rukou tuto knihu,” odvece Mlok a podal mi knížku, kterou držel v
ruce; bylo to Česky pro Mloky a její listy nesly stopy častého a pilného používání. “Dostala se
sem se zásilkou kněh obsahu poučného. Mohl jsem si vybrati Geometrii pro vyšší třídy škol
středních, Dějiny válečné taktiky, Průvodce po Dolomitech nebo Zásady bimetalismu. Zvolil
jsem si však tuto knížku, jež se mi stala druhem nejmilejším. Znám ji juž celou zpaměti,
avšak nalézám v ní stále nové zdroje zábavy i poučení.”
Moje paní i já jsme projevili svoji nelíčenou radost i podiv nad jeho správnou, ba téměř srozumitelnou výslovností. “Bohužel není zde nikoho, s kým bych mluvil česky,” pravil náš
nový přítel skromně, “a nejsem si ani jist, je-li sedmý pád od slova kůň koni nebo koňmi.”
“Koňmi,” řekl jsem.
“Ó ne, koni,” zvolala moje paní živě.
“Byl byste tak laskav a řekl mi,” tázal se náš milý besedník horlivě, “co jest nového ve stověžaté matičce Praze?”
“Ta roste, příteli,” odvětil jsem potěšen jeho zájmem a několika slovy jsem mu nastínil
rozkvět naší zlaté metropole.
“Jak radostné jsou to zvěsti,” pravil Mlok s netajeným uspokojením. “Zdalipak ještě visí na
Mostecké věži uťaté hlavy popravených českých pánův?”
“Už dávno ne,” řekl jsem mu, poněkud (přiznám se) překvapen jeho otázkou.
“To jest věru škoda,” mínil sympatický M/ok. “Byla to vzácná historická památka. Buď bohu
žalováno, že tolik znamenitých památností vzalo zasvé ve válce třicetileté! Neklamu-li se,
byla tehdy země česká obrácena v poušť, zbrocenou krví a slzami. Ještě štěstí, že tehdy
nevyhynul genitiv záporu. V této knížce stojí, že prý jest na vymření. Bylo by mi toho velmi
líto, pane.”
“Vás tedy upoutaly i naše dějiny,"zvolal jsem radostně.
“Zajisté, pane,” odtušil Mlok. “Zejména pohroma bělohorská a třistaletá poroba. Četl jsem o
nich velmi mnoho v této knize. Jste zajisté velmi hrdi na svou třistaletou porobu. Byla to
veliká doba, pane.”
“Ano, těžká doba,” přitakal jsem. “Doba útisku a hoře.”
“A úpěli jste?"ptal se náš přítel s dychtivým zájmem.
“Úpěli, trpíce nevýslovně pod jařmem sveřepých utiskovatelů.”
"To jsem rád,” oddechl si Mlok. “V mé knize to právě tak stojí. Jsem velmi potěšen, že to jest
pravda. Je to výtečná kniha, pane, lepší než Geometrie pro vyšší třídy škol středních. Rád
bych jednou stanul na památném místě kde byli popraveni čeští páni, jakož i na jiných
slavných místech krutého bezpráví.”
“Měl byste se k nám podívat” navrhl jsem mu srdečně.
“Děkuji za laskavé pozvání,” klaněl se Mlok. “Bohužel nejsem tak dalece ve svých krocích
volen...”
“My bychom vás koupili,” zvolal jsem. “Chci říci, snad bychom národní sbírkou mohli
opatřiti prostředky jež by vám umožnily...
“Nejvroucnější díky,” mumlal náš přítel zřejmě dojat. “Slyšel jsem však, že vltavská voda
není dobra. My totiž trpíváme v říční vodě nemilou úplavicí. “Načež se maličko zamyslil a
dodal: “Také bych těžko jen opustil svou milou zahrádku.”
“Ach,” zvolala moje paní, “já též jsem nadšenou zahradnicí! Jak vděčna bych vám byla, kdybyste nám ukázal dítky zdejší flóry!”
“S největší radostí, vzácná paní,” děl Mlok zdvořile se ukláněje. “Nebude-li vám totiž vaditi,
že můj libosad jest pod vodou.”
“Pod vodou?”
“Ano, dvémecítma metrův.”
“A jaké květiny tam pěstujete?”
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“Mořské sasanky,” pravil náš přítel, “v několika vzácných druzích. Rovněž mořské hvězdice a
mořské okurky, nepočítám-li keře korálové. Blah, kdo pěstoval své vlasti jednu růži, jeden
štěp, jak praví básník.”
Bylo nám pohříchu loučiti se, neboť loď již dávala znamení k odjezdu. “A co byste vzkázal,
pane - pane –” řekl jsem, nevěda, jak se náš milý druh jmenuje.
“Jmenuji se Boleslav Jablonský” upozornil nás Mlok ostýchavě. “Jest to po mém mínění
krásné jméno, pane. Vybral jsem si je ze své knížky.”
“Co byste, pane Jablonský, vzkázal našemu národu?”
Mlok se na chvilku zamyslil. “Řekněte svým krajanům,” pravil posléze s hlubokým
pohnutím, “řekněte jim... aby nepropadli staré slovanské nesvornosti... a aby chovali ve
vděčné paměti Lipany a zejména Bílou horu! Nazdar, má poklona,” skončil náhle, snaže se
přemoci své city.
Odjížděli jsme člunem zamyšleni a dojati. Náš přítel stál na skalisku a kynul za námi rukou;
zdálo se, že něco volá.
“Co to volal?” ptala se moje paní.
“Nevím,” řekl jsem, “ale znělo to nějak jako: Pozdravujte pana primátora doktora Baxu.”
Aufgaben
1. Schritt
• Vorstellung des Autors, des Buches, seines Zeitkontextes, Inhalts und
seiner Form.
2. Schritt
• Diskussion des Stils und der tschechischen Sprachstereotypen.
• Besprechung der historischen Anspielungen (Schlacht am Weißen Berg,
Zeit der „Finsternis“ usw.) und Entdecken lassen der versteckten Anspielungen (národní sbírka).
3. Schritt:
• Diskussion der enthaltenen tschechischen Autostereotypen.
• Fragen nach der Aktualität der Autostereotypen.
4. Schritt:
• Umschreiben des Textes in die deutsche Kultur.
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3. Lehrende und Lehrmaterialien als „Thema“ interkulturellen
Unterrichts
• Kulturelle, ggf. diachron-kulturelle Erfahrungen der/des Lehrenden thematisch machen und mit biografischen Erfahrungen der SchülerInnen
kontrastieren. Das kann besonders bei raschem und starkem kulturellen
und sozialen Wandel relevant sein (also z.B. in der Sprachlehre von
Sprachen der ost- und mitteleuropäischen Transformations- und Posttransformationsgesellschaften).
• „Lehrbuchwelten“ thematisieren und kontrastieren: Welche kulturellen
Bilder erzeugen Lehrbücher im Kopf? Sind sie prägend oder sekundär in
der Vorstellung vom Zielland und seiner Kultur?
• Kombination von Lehrendenerfahrungen und Lehrmaterialien.
Beispiele aus der für westdeutsche Russischlerner vor 20-30 Jahren exotischen,
bürgerlich harmlosen Welt des Lehrbuchs „Russisch für alle“:
• Thematisierung der Berufe und ihres Prestiges in der UdSSR.
• «Мама в доме отдыха» dient zur Einführung in den Präpositiv, kann aber
auch den Blick auf Kultur und Gesellschaft lenken: Für den
westdeutschen Schüler musste schon so ein einfacher Satz absonderlich
klingen und verschiedene Fragen aufwerfen. Warum ist die Mutter allein?
Warum in einem Erholungsheim – und was ist das überhaupt?
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• Vergleiche die ganz anderen Lehrbuchwelten aus neueren Lehrbüchern
(Mitte achtziger bis Mitte neunziger Jahre):
Kontakty, München 1989 (2. Aufl.)
Zdravstvujte! München 1992
Dialog 1, Leipzig 2000
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Dialog 2, Berlin 1994
4. „Handelnder/Handlungsorientierter Unterricht“
Definition:
• Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und
schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und
den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation
des Unterrichtsprozesses leiten, so daß Kopf- und Handarbeit der
Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können. (Meyer 1988, 214)
• Im Handelnden Unterricht wird die materielle bzw. materialisierte Handlung der Schüler konsequent an den Anfang des
Lernprozesses gestellt. Im Gegensatz zum Unterrichtsverständnis
der Reformpädagogen (...) muß ein vom Lehrer mit den Schülern
gemeinsam erstelltes Handlungsprodukt nicht am Ende des Lernprozesses stehen. Es kommt (...) auf die Verinnerlichung materieller Handlungen an. (Meyer 1988, 189).
Theoretischer Hintergrund ist die Tätigkeitstheorie der kulturhistorischen psychologischen Schule Lev S. Vygockijs (18961934), Aleksej N. Leont’evs (1903-1978) und Petr J. Gal’perins
(1902), nach der sich Bewusstsein durch Verinnerlichung gegenständlich ausgeführter Handlungen bildet.
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4. 1. Gemeinsame Visualisierung kultureller Prägung und Differenz
Kultur als Eisberg (Modelle bei Aigner 2002, 100; Roche 2001, 20)
Sprache
Essen
Kleidung
Verhalten
Kommunikationsformen
Überzeugungen
Werte
• Aufgabe: Eigene Eisberge erstellen (Was liegt für mich bei
mir/bei den anderen über, was unter der Wasser- (= Bewusstseins-)linie ? Was liegt besonders tief, was besonders hoch, dicht
unter der Linie ?)
Als Interaktion ist diese Aufgabe besonders auch für C 2-Gruppen geeignet.
Innere Landkarten zeichnen
• Innere (kulturelle) Landkarten von Europa oder Deutschland bzw.
einem Zielland oder auch der näheren (Schul-)umgebung zeichnen und gemeinsam auswerten.
Die Aufgabe kann für C 2-Gruppen Konfliktstoff enthalten (Möglichkeit zum gegenseitigen Lächerlichmachen; z.B. durch Einzeichnen einer „Vodkasiedlung“ o.ä.)
Beispiel: Europakarten von Studierenden der Fremdsprachenfakultät
der MGU (Ter-Minasova 2000, 42):
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4. 2. Spiele
Barnga
Kartenspiel für mindestens drei Kleingruppen (3-5) an verschiedenen Tischen.
Die Spieler erhalten ein Blatt mit Spiel- und Turnierregeln.
Wichtig: Die Spielregeln unterscheiden sich an den Tischen geringfügig! An
einem Tisch ist z.B. Herz Trumpf, an einem anderen dagegen Pik. Die Spieler
an den Tischen sind über die Unterschiede nicht informiert!
Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Stiche zu erzielen. Nachdem sich die
Spieler mit den Regeln vertraut gemacht haben, werden die Regeln eingesammelt, und das Spiel beginnt.
Während des Spiels herrscht absolutes Sprechverbot.
Nach der ersten Runde wechseln die Spieler nach den Turnierregeln die Tische.
Es treffen Spieler mit unterschiedlichen Regeln aufeinander: Konflikte
entstehen. Die Spieler sind aufgerufen, dennoch eine gemeinsame Verständigungsbasis zu finden.
Nach einigen Runden wird das Spiel abgebrochen.
Auswertung im Kreis:
• Schildern der Eindrücke
• Parallelen zwischen Spiel und Alltagswelt erarbeiten
• Lösungen für interkulturelle und intersoziale Konflikte erarbeiten
Das Spiel kann m.E. zur Gruppenbildung bei C2-Gruppen hilfreich sein.
(vgl. Bernhard 2002, 201f.)
Ecotonos
Ziel des Spiels: Handlungen gemeinsam durchführen, gemeinsam Aufgaben
bewältigen (z.B. „eine Brücke bauen“).
Spieler erhalten Namensschilder mit Länderzuordnungen und Karten mit
„Kulturstandards“.
Spieler bewältigen ihre Aufgaben zunächst in monokulturellen, dann in
multikulturellen Gruppen.
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Auswertung:
• Beschreibung der Problemlösungen in der monokulturellen Gruppe.
• Beschreibung der Problemlösungen in der multikulturellen Gruppe.
• Visualisierung des Problemlösungsprozesses.
• Folgerungen für die interkultrelle Zusammenarbeit.
• Erarbeitung von interkulturellen Handlungsstrategien.
Im Unterschied zu Barnga sind die unterschiedlichen Handlungsregeln von
Anfang an bekannt.
Das Spiel wird v.a. im Wirtschaftstraining angewandt. Es kann für
Schülergruppen, insbes. C 1 (weniger C2 ) erweitert werden um verschiedene
Sprachen: Zunächst spielen Muttersprachler zusammen, dann gemischte
Gruppen mit jeweils nur einer Anwendungssprache.
Ziel und Auswertung:
• Gegenseitiges Sprachliches Helfen einüben, sprachliche Missverständnisse erkennen usw.
(vgl. Bernhard, ebd., 206ff.)
Nazirema
Aufgabe: Gemeinsamer Stadtspaziergang, dabei bekannte Merkmale der Heimatstadt fotografieren. Anschließend werden die Motive mit Bildberabeitung
verfremdet.
Im dritten Schritt sollen Erzählungen zu den Verfremdungen (im Fremdsprachenunterricht in der Zielsprache) erfunden werden: die verfremdete Stadt ist
z.B. die Sicht auf die Stadt von „Marsbewohnern“, die keine Kenntnisse von
Häusern, Straßen etc. haben und sich eigene Kategorien bilden.
Auswertung:
• Kultur ist nicht natürlich, sondern gemacht und ihre Rezeption vom
Rezipienten abhängig.
• Welche andere Perspektive haben Menschen der Zielkultur auf die
eigene Umgebungskultur und umgekehrt?
Das Spiel lässt sich besonders in fortgeschrittenen A-Gruppen durchführen.
(vgl. John/Teske 2002, 237f.)
Interkulturelle Kommunikation
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Aber es geht natürlich auch “realitätsnäher”:
Stadtführung entwickeln, Stadtführer erstellen
Eine Gruppe von Jugendlichen aus Russland, Tschechien, Polen oder einem
anderen mittel- oder osteuropäischen Land hält sich in Dresden auf.
Das Besichtigungsprogramm umfasst zwei Tage.
1. Tag: Erstellen Sie eine Stadtführung zu den touristischen Sehenswürdigkeiten (Zwinger, Frauenkirche, Pillnitz usw.) in der Sprache der
Gäste.
2. Tag: Erstellen Sie eine Tour durch ihr persönliches Dresden. Beschreiben
Sie die Plätze, die ihnen persönlich von Bedeutung sind.
5. Transkulturelles Lernen
„Vor gut 20 Jahren hat der Architekt Wolfgang Welsch in einem Aufsatz eine
Kritik an dem traditionellen Kulturbegriff geäußert. In seinem Verständnis ist
die Vorstellung, dass unsere Kulturen national geprägt seien, ein Irrtum und
favorisiert Trennung. Sie beruht auf einem ideologischen Ansatz, der weder
damals noch heute einer Wirklichkeit entsprach. Die klassischen interkulturellen
Konzepte fußen immer noch auf dem Verständnis: Die Tschechen sind, die
Deutschen sind, die Franzosen sind....
Doch so Welsch: „Unsere Kulturen haben de facto längst nicht mehr die Form
der Homogenität und Separierbarkeit. Sie haben vielmehr eine neuartige Form
angenommen, die ich als transkulturell bezeichne, weil sie durch die traditionellen Kulturgrenzen wie selbstverständlich hindurch gehen. Die kulturellen
Verhältnisse sind heute allenthalben durch Mischungen und Durchdringungen
gekennzeichnet. Das Konzept der Transkulturalität (...) sucht diese veränderte
kulturelle Verfassung ins Licht zu rücken.“ (...)
Transkulturalität geht auf die tatsächliche heutige Situation in den Gesellschaften ein. Durch Migration, Kommunikationssysteme und ökonomische
Abhängigkeiten sind die Kulturen miteinander verwoben. Die Vorstellung, dass
die kulturellen Prägungen an den Nationalgrenzen enden, ist veraltet und führt
statt zu Aufklärung zur Bildung „fachlicher Stereotype“. Durch das Kulturverständnis dieses Ansatzes können wir uns freimachen von den nationalen
Stereotypbindungen und zu einem Wesen werden, das in vielen Zusammenhängen lebt. Wir bewegen uns in vielen Gruppen, die über eigene kulturelle
Orientierungen verfügen. Regionalgruppen, Geschlechtsgruppen, Berufsgruppen, Altersgruppen, Religionsgruppen. Alle diese Gruppen geben uns Antworten
über unser Denken, Fühlen und Handeln“ (Bittl/Weiler/Wittmann 2006, 8)
Die Methode des transkulturellen Lernens ist personal: Im Vordergrund steht die
persönliche kulturelle, biographische Prägung jedes einzelnen Lerners und
des/der Lehrenden.
Interkulturelle Kommunikation
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Übung zur Selbstreflexion:
Zeichnen einer „Persönlichkeitsblume:
Familie
Beruf
ICH
5. Literatur zur Didaktik
Aigner, G. 2002. Interkulturelles Lernen an beruflichen Schulen. In: Interkulturelle
Kompetenz. Konzepte und Praxis des Unterrichts. Hrsg. von L. Volkmann/K.
Stierstorfer/W. Gehring. Tübingen: Gunter Narr, S. 49-68.
Bittl, K.-H./Weiler, S./Wittmann, G. 2006. Transkulturelles Lernen in der Kindertagesstätte
und Grundschule. Nürnberg: City Verlag.
Bernhard, N. 2002. Interkulturelles Lernen und Auslandsaustausch – „Spielend“ zur interkulturellen Kompetenz. In: Interkulturelle Kompetenz. Konzepte und Praxis des Unterrichts. Hrsg. von L. Volkmann/K. Stierstorfer/W. Gehring. Tübingen: Gunter Narr, S.
193-216.
Gehring, W. 2002. Kulturelle Kontexte in Sprachlehrgängen an Haupt- und Realschule. In:
Interkulturelle Kompetenz. Konzepte und Praxis des Unterrichts. Hrsg. von L.
Volkmann/K. Stierstorfer/W. Gehring. Tübingen: Gunter Narr, S. 69-97.
John, L./Teske, D. 2002. London Calling: Interkulturelles Lernen und die Stadterfahrung. In:
Interkulturelle Kompetenz. Konzepte und Praxis des Unterrichts. Hrsg. von L.
Volkmann/K. Stierstorfer/W. Gehring. Tübingen: Gunter Narr, S. 217-245.
Meyer, H. 19882. Unterrichtsmethoden. Bd.1: Theorieband. Frankfurt/M.: scriptor.
Roche, J. 2001. Interkulturelle Sprachdidaktik. Eine Einführung. Tübingen: Gunter Narr.
Interkulturelle Kommunikation
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Rumpf, H. 1987. Belebungsversuche. Ausgrabungen gegen die Verödung der Lernkultur.
Weinheim/München: Juventa.
Rumpf, H. 2002. Die Verstopfung der Köpfe und das wirkliche Verstehen. Eine Einführung
in die vorliegende Auswahl von Arbeiten von Martin Wagenschein. In: M. Wagenschein, „... zäh am Staunen.“ Pädagogische Texte zum Bestehen der Wissensgesellschaft. Hrsg. von H. Rumpf. Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung, S.
8-23.
Stierstorfer, K. 2002. Literatur und interkulturelle Kompetenz. In: Interkulturelle Kompetenz.
Konzepte und Praxis des Unterrichts. Hrsg. von L. Volkmann/K. Stierstorfer/W.
Gehring. Tübingen: Gunter Narr, S. 119-141.
Ter-Minasova, S.G. 2000. Jazyk i mežkul’turnaja kommunikacija. Moskva: Slovo.
Wagenschein, M. 19882. Naturphänomene sehen und verstehen. Genetische Lehrgänge.
Stuttgart: Klett.
Wagenschein, M. 19892. Erinnerungen für morgen. Eine pädagogische Autobiographie. Mit
einer Einführung von Horst Rumpf. Weinheim/Basel: Beltz Verlag. (1. Aufl. 1983.)
Wagenschein, M. 199711. Verstehen lehren. Genetisch – Sokratisch – Exemplarisch. Mit einer
Einführung von Hartmut von Hentig und einer Studienhilfe von Hans Christoph Berg.
Weinheim/Basel: Beltz Verlag. (1. Aufl. 1968.)
Wagenschein, M. 2002. „... zäh am Staunen“. Pädagogische Texte zum Bestehen der Wissensgesellschaft. Hrsg. von H. Rumpf. Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung.